Freitag, 27. April 2018

Das Märchen vom kritischen digitalen Konsum

Der sogenannte Datenskandal bei und um Facebook klingt nur langsam ab. Dennoch sehen manche BeobachterInnen negative Folgen für das Unternehmen, gar eine Bedrohung der Existenz. Denn 90 Prozent der Menschen trauen Facebook nicht, jedoch: "Persönliche Konsequenzen ziehen daraus aber nur wenige Nutzer: Gerade einmal 2 Prozent der befragten Internetnutzer nutzen Facebook aufgrund des Datenskandals gar nicht mehr, 12 Prozent gaben an, die Nutzung von Facebook einzuschränken. 27 Prozent wollen das Netzwerk unverändert weiter nutzen, 59 Prozent der befragten Internetnutzer nutzen Facebook ohnehin nicht." Echte wirtschaftliche Konsequenzen sind also nicht in Sicht. Woher ich das weiß? Von einer Google-Suche.

In diesem einen Absatz zeigt sich das ganze Dilemma der durchschnittlichen InternetnutzerIn: Es gibt kaum einen Ausweg aus der Datenfalle. Bedroht ist man gerade laut der öffentlichen Debatte durch Facebook, doch ist das US-Unternehmen ja nur ein Akteur der "Internet Big Five". Sicherlich, der oben genannte Artikel hätte sich auch mit DuckDuckGo finden lassen. Ganz ohne Datenerhebung und Tracking. Doch stellt sich anhand dieses Beispiels die ganz grundsätzliche Frage, inwiefern verantwortungsvoller und kritischer Konsum im digitalen Raum möglich ist und wenn ja, ob er wirklich etwas verändern kann - auch für andere NutzerInnen.

Quelle: Screenshot sueddeutsche.de

Volker Bernhard scheint davon überzeugt zu sein, er schrieb vor einiger Zeit für die SZ folgende Zeilen über "bewussten Konsum im Netz":

Und dann liefert das Magazin Wired in seiner jüngsten Ausgabe eine Reportage mit gewaltiger Sprengkraft: Wer danach noch bei Facebook bleibt, ist selber schuld. Vielleicht aber taugt diese Ausgangssituation dazu, um eine Parallele zwischen der zarten ersten Digitalkrise und dem damaligen Bio-Erwachen zu ziehen. Könnten die aktuellen Fortschritte in der Wertschätzung von Bio-Produkten nicht auch als Blaupause für eine veränderte Konsumentenethik des Digitalen dienen?
Im Anschluss daran schildert er die Entwicklung von Bio-Läden, -Siegeln und die Entstehung einer breiten Bevölkerungsschicht, die Bio-Produkte und ökologische Erzeugnisse konsumiere. Dann schlägt er die Brücke zu Posteo oder Mailbox.org. Alles gut also? Das wird schon? Es braucht eben Zeit, bis sich ein Konsum, der nicht zerstörerisch wirkt (in diesem Fall für die Privatsphäre), entwickelt?


Die NutzerInnen als Superhelden der digitalen Welt, die mit ihren Konsumentscheidungen deren Struktur und Funktionsweise verändern? Quelle: alan9187

Schaut man auf unsere Ernährung löst sich allerdings schon die Ausgangsthese in Luft auf: Je nach Statistik schwanken die Zahlen leicht, doch wir reden heute über einen Bio-Anteil an den Gesamtverkaufserlösen aus der Landwirtschaft von fünf Prozent. Bei Eiern liegt der etwas Anteil höher, bei knapp zehn Prozent. Einem Produkt, das über lange Zeit Aushängeschild und exemplarisches Beispiel für bessere Bedingungen war und heute noch ist. Und zudem mit allerlei Skandalen zu kämpfen hatte. Doch trotz "Bio-Boom" und "Öko-Lifystyle" ist die nachhaltige und ökologisch verträgliche Erzeugung von Lebensmitteln ganz offenkundig ein Nischenmarkt. Fast 50 Jahre nach der Eröffnung der ersten Bio-Läden. Außerdem ist auch in der Bio-Landwirtschaft eine Flächenkonzentration zu beobachten, Ställe werden größer, der "Output" pro Betrieb steigt und entfernen sich - auch aus wirtschaftlichen Zwängen - weit vom Demeter-Gedanken.

Bernhard träumt in seinem Artikel davon, dass Facebook in naher Zukunft "dasselbe Ansehen wie zuletzt die Drogeriekette Schlecker" genießen könnte. Ein Schmuddelimage also, das am Ende das Ende des Unternehmens bedeutete (doch das beendete natürlich weder den Preiskampf noch die schlechten Arbeitsbedingungen in der Drogeriebranche). Auch die neue Datenschutzgrundverordnung könnte das Geschäftsmodell einschränken. Doch aktuell sind dies die Schlagzeilen:


Facebook: 49 Prozent mehr Umsatz trotz Datenaffäre

Mehrzahl der deutschen Nutzer Facebook treu

Skandal! Welcher Skandal?

Vor allem geht es ja wie erwähnt nicht nur um Facebook. Die großen Spieler des Plattform-Kapitalismus haben die NutzerInnen in der digitalen Welt gemeinsam fest im Griff. Und sind bereit in jede Bresche zu springen. Ob Amazon, das mit Echo/Alexa nun aus Unternehmenssicht endlich Standortdaten erhält, oder Google, das ein Drittel der weltweiten Werbeeinnahmen im Online-Markt generiert und zu einem immer wichtigeren Partner von Behörden bei der Aufklärung von Straftaten wird - es gibt kaum ein Entkommen.

Tipps für VerbraucherInnen? "Durch Zweithandy möglichst wenig Daten preisgeben", heißt es zum Beispiel. Dies illustriert fast schon die gesamte Hilflosigkeit und fehlende politische Regulierung. Laut Bernhard gebe es aber "für die meisten Dienstleistungen großer Technologiekonzerne [...] datenschutzverträgliche Alternativen." Was fehle, seien "die Überzeugungstäter, die wie bei den Anfängen der Bioläden im Freundes- und Bekanntenkreis vielleicht etwas militant wirken, aber sachlich ihre Befürchtungen darlegen. Außerdem fehlt der digitalen Konsumentenethik ein positives Image, das Zeigefingerpädagogik in annehmbare Vorschläge verwandelt." 

Das ist schlicht nicht wahr. Es gibt keinen Cloud-Dienst, der NutzerInnen die vergleichbare Funktionalität von Google Photos bietet, sich europäischen Datenschutzregelungen unterwirft und gegen Bezahlung keine Daten erfasst. Es gibt keine Spracherkennung, die Open Source ähnlich mächtig agiert, wie die von Google, Apple oder Amazon, selbst wenn Mozilla mit "Common Voice" daran arbeitet. Und die "Überzeugungstäter" in Sachen Bio haben in 50 Jahren fünf Prozent Marktanteil erzeugt, wenn man es polemisch ausdrücken will.

So bleibt ein fader Beigeschmack bei der Diskussion um die Existenz und die Wirkungen des bewussten Konsums. So wird kritischer Konsum, wo es ihn denn tatsächlich gibt, meistens überschätzt bzw. die Schwierigkeiten bei der Umsetzung ausgeblendet. Das illustriert das Buch "Tomaten - Recherchen auf dem globalisierten Nahrungsmittelmarkt" von Annemieke Hendriks. Sie zeigt eindrucksvoll am Beispiel eines scheinbar so simplen "Produkts" wie der Tomate, wie schwierig es selbst für aufgeklärte und bewusste Menschen ist, "kritisch zu konsumieren". Hendriks schreibt gegen Ende: "Wer wirklich etwas für das Wohl der Erde tun möchte, der isst also am besten nur Saisontomaten aus unbeheiztem Anbau, bio oder nicht (beide haben ja Umweltvorteile), und besorgt sich diese mit dem Fahrrad."

Sehr viele Informationen sind also nötig, unzählige Faktoren müssen beachtet, teilweise sich widersprechende Wirkungen müssen in Einklang gebracht werden und am Ende hilft meist nur der Verzicht. Ganz abgesehen, dass man die wirtschaftlichen Voraussetzungen mitbringen muss. Keine massentaugliche Strategie, so scheint es. Überträgt man dies aufs Digitale wird man auch dort eine Mischung aus Überforderung und Unwillen der KonsumentInnen prognostizieren müssen. Die Wirtschaftswoche schreibt in einem aktuellen Artikel zu mehr Sicherheit im Umgang mit Künstlicher Intelligenz:
Erfolg werden solche Industrieinitiativen ohnehin nur haben, wenn sich auch alle Nutzer des Internets der Dinge der Risiken einer hochgradig vernetzten Welt bewusst sind. Wenn sie nicht länger auf ihren Smartphones Schnüffeldienste zulassen und über x-beliebige Apps Auskunft darüber geben, wo – auf den Meter genau – sie sich gerade befinden. Michael Kranawetter, Leiter der Abteilung Sicherheit bei Microsoft Deutschland, fordert mehr Aufklärung. Die meisten Leute wüssten schlicht nicht, wie wichtig es sein kann, mit Daten sparsam zu sein, und wie sie im Alltag weniger Datenspuren hinterlassen können. Daher sollten „Grundprinzipien der Programmierung Einzug in die Stundenpläne der Schulen erhalten“. In einer vernetzten Welt sei nur derjenige ein mündiger Bürger, der weiß, welche Spuren er hinterlasse – und der verbergen könne, mit wem er wo zu Abend isst.
Die BürgerInnen werden also in Haftung genommen - damit freiwillige Unternehmensselbstverpflichtungen Wirkung zeigen können. Verpflichtungen, die maximal den kleinsten gemeinsamen Nenner zum Gegenstand haben. 

An dieser Stelle könnte man abwinken und das Konzept des kritischen Konsums für gescheitert erklären. Doch auch das greift zu kurz, in einer modernen Gesellschaft ist es durchaus in Ordnung die BürgerInnen an ihre eigene Verantwortung zu erinnern und sie dabei zu unterstützen dieser nachkommen zu können. Entwicklungsminister Gerd Müller hat gegenwärtig mal wieder den "Grünen Knopf" angekündigt. Ab 2019 soll das ein Siegel sein, bei dem man "zu 100 Prozent" sicher sein könne, dass die Kleidung fair produziert wurde. Das wäre ein guter und wichtiger Schritt. Aber die Ankündigung ist nicht neu und ohne gesetzliche Verpflichtung scheinen auch diesmal viele bzw. die meisten Hersteller nicht mitmachen zu wollen. Es ist wie bei der Ernährung: Bio ist gut und schön, doch ohne politische Vorgaben wird sich substantiell wenig an der Erzeugung von Lebensmitteln ändern.

Wieder aufs Digitale übertragen: Die Daten der Menschen lassen sich nicht durch Selbstverpflichtungen oder geändertes Nutzungsverhalten Einzelner schützen. Eine politische Regulierung muss her. Auch die Bloggerin und Netzexpertin Katharina Nocun kommt nach einem Selbstversuch mit Amazon, bei dem sie ihre dort gespeicherten Daten anforderte, zum Schluss:
Mehr Transparenz in Bezug auf Datensammlungen reicht deshalb nicht aus. Es braucht verbindliche Löschfristen und klare Verbote für Überwachung in besonders sensiblen Bereichen. Nutzer sollten zudem bei jedem Anbieter die Möglichkeit haben, auch "inkognito" zu recherchieren. Wenn die Politik keine Leitplanken einzieht, werden wir alle unweigerlich zu gläsernen Kunden.
Doch im digitalen Raum haben wie erwähnt auch staatliche Akteure Interessen, die über den Schutz der KonsumentInnen-Anliegen hinausgehen:
Der Hamburger Kriminologe Nils Zurawski befürchtet eine Vermengung von staatlichen und privaten Interessen durch die Kooperation von Tech-Konzernen und Strafverfolgungsbehörden. Im Interview sagt er: "Da Google und auch andere digitale Medien und Dienste zu unserem Alltag gehören, und wir allerlei Dinge damit tun, wäre die generelle Auskunft über unsere Aktivitäten eine Totalüberwachung. Das ist praktisch schon der Fall, wenn man bedenkt, dass alles, was wir tun, in irgendeiner Weise aufgezeichnet wird."
Die schon heute große Macht der Technologie-Konzerne,die Verlockungen der Datenerfassung für staatliche Stellen und naive Sichtweisen wie "Facebook wird das neue Schlecker", lassen demnach Schlimmes befürchten. Jedoch ist es nie zu spät, wirtschaftliche Interessen einzuhegen. Dazu braucht es nur eine Debatte, was denn gesellschaftliche Werte, die als unbedingt schützenswert erachtet werden, sind. Auch die diesjährige re:publica 18 fragt:
In welche Richtung entwickeln sich international Digital Democracy und Open Data-Ansätze? Und welche sozialen und legislativen Begleitprozesse braucht die immer stärker fortschreitende Automatisierung? Wo der menschliche Verstand zu versagen scheint, halten dort die Versprechen der Auslagerung von Prozessen in die “unbestechliche” Blockchain?
Und den politischen Willen, der bei den meisten Fragen (noch) fehlt und nur durch öffentlichen Druck verändert werden kann. 

Dort - im Rahmen eines ausgehandelten und regulierten digitalen Raums, wo kritischer Konsum kein Ausstieg bedeutet und für alle möglich ist - dürfen dann auch die NutzerInnen herausfordernd gefragt werden: "Ey, was treibst Du denn da eigentlich mit Deinen Daten?"  

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